Über den Tellerrand geschaut: Erziehung in Frankreich und Italien

Erziehung_Frankreich_Italien

Erziehung in Italien

Erziehung in Frankreich

Was italienische Eltern anders machen

Wusstest du eigentlich, dass ich mal in Italien gelebt habe? Mitte der 90er Jahren sind mein damaliger Partner – ein Franzose – und ich mit unserer kleinen Tochter nach Norditalien gezogen. Wir lebten in einer kleinen Stadt im Veneto. Von dort war man in einer knappen Stunde mit dem Zug in Venedig. Damit du eine Vorstellung hast, wo das liegt.

In den fünf Jahren, die wir dort lebten, bekommt man einen guten Einblick in den Alltag von italienischen Familien. Ich kann dir sagen, die Vorstellungen von Kindererziehung sind anders als hier in Deutschland.
In unserer ersten Zeit in Italien habe ich beobachtet, gestaunt und versucht, alles richtig zu machen. Schließlich will man ja nicht unangenehm auffallen…

Italienische Kinder dürfen (fast) alles

Kinder dürfen dort scheinbar alles. Egal wie übermütig sie sich gebärden, der  Blick der Eltern, Großeltern und Menschen in der Umgebung, ruht wohlwollend auf dem temperamentvollen Kind. „Sono bambini“ heißt es dann. „Es sind eben Kinder.“

Sono bambini. – Es sind eben Kinder…

Und das finde ich spannend, denn von Kindern wird in Italien nicht erwartet, dass sie sich ruhig und artig verhalten. Manchmal allerdings wird es auch den geduldigsten Eltern zu viel. Dann wird kurz gebrüllt, und es setzt auch schon mal eine „botta“, einen Klaps. 😯 Der Klaps nutzt nicht viel, bald geht das übermütige Treiben weiter.

Mach dich bloß nicht schmutzig!

Am Sonntag sieht es anders aus: Die Kinder werden in hübsche Kleidchen, Hemden und feine Schule gesteckt, den Sonntagsstaat. Damit ist es ihnen streng verboten, zu rennen oder zu toben. „Non ti sporchi!“ „Mach dich bloß nicht schmutzig!“
Dann setzt es dann auch eher mal einen Klaps. Die Kinder in ihrem Sonntagsstaat verhalten sich auch viel braver. Sie wissen, was passiert, wenn sie zu übermütig werden.
Zum Glück dürfen die Kinder nach dem Kirchgang wieder ihre normalen Sachen anziehen, die allerdings auch ziemlich chic sind.

Ab und zu setzt es einen Klaps

Zu Beginn unserer Zeit in Italien fand ich die feinen Kleider und die Klapse ganz schrecklich. Irgendwann gewöhnte ich mich daran – so ist’s eben in Italien. Meine Kinder habe ich allerdings nur sehr selten in feine Kleider gesteckt, noch sind wir in die Messe gegangen.

ADHS in Italien?

Nun schlage ich den Bogen zu unserem Thema ADHS:
Ich habe recherchiert und herausgefunden, dass ADHS in Italien viel seltener diagnostiziert wird, als zum Beispiel in Deutschland.
Eigentlich hat mich das nicht erstaunt. Ob wir ein Verhalten als „zu viel“ oder gar „krankhaft“ einstufen, hängt stark von unseren Erwartungen ab. Und in Italien hat, wie wir gesehen haben, niemand die Erwartung an ein Kind, dass es sich ruhig und besonnen verhalten sollte. (Außer in bestimmten Situationen, wie sonntags in der Kirche.) Ich glaube, Italiener finden es eher verdächtig, wenn ein Kind  brav und still ist.

Wenn dich die Zahlen interessieren:

Italien: Schulkinder und Jugendliche mit ADHS 3 – 5% 
Deutschland: Schulkinder und Jugendliche mit ADHS 6 – 9% 

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Warum französische Kinder fast immer brav sind 😉

Auf geht’s nach Frankreich:
Mein damaliger langjähriger Partner, der Papa von dreien meiner Kinder, ist Franzose. Vor fast 30 Jahren haben wir uns in Berlin kennengelernt. Wir sind zusammen nach Italien gegangen, haben eine Weile in Frankreich gelebt und zogen dann wieder zurück nach Berlin, wo unsere Kinder eine französische Schule besuchten.
Ich behaupte mal, dass ich einen guten Einblick in die französischen Gepflogenheiten habe.

Französische Eltern trauen ihren Kindern einiges zu

Französische Eltern erwarten schon von ganz kleinen Kindern, dass sie kooperieren. Sie gehen zum Beispiel davon aus, dass ein Baby mit spätestens sechs Monaten durchschläft. (Oft schaffen Eltern das sogar. Auch ohne, dass sie ihr Baby stundenlang schreien lassen…)
Auch sind sie davon überzeugt, dass Kinder im Restaurant durchaus einige Stunden still am Tisch sitzen können. (Hast du mal ein Déjeuner einer französischen Familie im Restaurant erlebt? Es sind viele Gänge, das dauert…)

Französische Eltern nehmen sich wichtig

Französische Eltern bringen ihre Kinder oft sehr früh in die Krippe, damit Maman und Papa arbeiten können. Das ist dort schon sehr lange üblich. In Deutschland wurde man damals noch als Rabenmutter bezeichnet…
Nun könnten wir denken: Die armen, angepassten Kinder! Ich meine: Ja und nein.

Französische Eltern geben die Richtung vor

Viele Eltern sind recht autoritär und fackeln nicht lange, wenn sie sich durchsetzen wollen. Die Kinder haben wenig Mitspracherecht, vor allem, wenn sie noch klein sind. Die Eltern geben einen klaren Rahmen vor, in dem sich ihre Kinder wiederum frei bewegen  dürfen. Wenn die Kinder größer werden,  lassen die Eltern die Zügel nach und nach  lockerer.

Eltern geben einen klaren Rahmen vor, in dem sich ihre Kinder wiederum frei bewegen  dürfen.

Nein, ich glaube wirklich nicht, dass französische Kinder bedauernswert sind. Denn grundsätzlich halte ich es für vernünftig, wenn Eltern ihre Kinder anleiten und den Weg vorgeben. Schließlich sind sie die Großen und wissen übers Leben Bescheid. Diese Klarheit gibt den Kindern Sicherheit und Orientierung.

Erziehung in Frankreich und Italien

Bedürfnisorientierte Erziehung in Frankreich?

Gleichzeitig – und das kommt meiner Meinung nach in Frankreich zu kurz – sind schon kleine Kinder Persönlichkeiten mit eigenem Charakter, Bedürfnissen und Vorlieben, auf die Eltern sich einstellen sollten.
Natürlich stellen sich auch französische Eltern auf ihre Kinder ein: In Paris und später an der Deutsch-Französischen Europaschule in Berlin habe ich wunderbare Eltern kennengelernt: Sie nehmen die Bedürfnisse ihrer Kinder ernst, und ihnen ist es wichtig, dass sich ihre Kinder individuell entwickeln und ihren eigenen Weg ins Leben gehen.

Zugleich stellen sie Regeln auf, die ihre Kinder niemals übertreten dürfen. Da sind französische Eltern sehr autoritär und klar. Französische Eltern beanspruchen ihr Recht auf ein Privatleben, sie bleiben Mann und Frau mit eigenen Interessen und Bedürfnissen. Dann müssen die Kinder eben manchmal zurück stehen. Ich habe den Eindruck, dass die Kinder das verstehen und gut damit klarkommen.

Weniger Stress durch klare Regeln?

Nach meinem Erleben sind Eltern in Frankreich viel weniger gestresst als deutsche oder amerikanische Eltern. Sie nehmen sich raus, Zeit für sich zu haben und erwarten von den Kindern, ab und zu in den Hintergrund zu treten. Ein schlechtes Gewissen haben sie deshalb nicht.

In unserer Familie war ich die Nachgiebigere und Verständnisvollere den Kinder gegenüber. Ich wollte ihre Bedürfnisse bestmöglich erfüllen und hatte immer ein offenes Ohr für sie. Oft ging ich dabei deutlich über meine Grenzen. Mein französischer Partner hatte dafür wenig Verständnis: Wenn er müde war oder einfach seinen Interessen nachgehen wollte, sprach er ein Machtwort und es herrschte Ruhe. Deswegen machte er sich nicht die geringsten Gedanken, ob das unseren Kindern schaden könnte.

Übrigens: Auch in Frankreich haben nur 3% der Kinder eine ADHS-Diagnose.
Deutschland: Schulkinder und Jugendliche mit ADHS 6 – 9% 

Eine gesunde Mischung aus Dasein für die Kinder und Selbstfürsorge

Im Nachhinein, mit Abstand betrachtet, gefällt mir eine gesunde Mischung aus Dasein für die Kinder und Selbstfürsorge sehr gut. So haben alle Familienmitglieder genügend Raum zu ihrer Entfaltung und finden Geborgenheit und Sicherheit.

Ein kontroverses Thema. Beim bedürfnisorientierten Erziehen seine eigenen Bedürfnisse nahezu vollständig zurücknehmen oder doch auch autoritär sein und klare Grenzen aufzeigen?
Wie denkst du dazu? Was sind deine Erfahrungen? Schreib’s in die Kommentare.

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3 Kommentare zu „Über den Tellerrand geschaut: Erziehung in Frankreich und Italien“

  1. Beim bedürfnisorientierten Erziehen geht es doch um die Anliegen und Bedürfnisse aller. Es hat doch echt keinen Sinn, sich bis zur Erschöpfung zu verausgaben und im Stress dahinzusiechen. Ja, auch Eltern sind Menschen mit Bedürfnissen und dürfen diese auch mitteilen und ausleben

  2. Liebe Heike,
    Danke für deinen Bericht, der mir einen andere Blickwinkel verschafft.
    Wir sind eine deutsch-französische Familie, unser Kind ist jetzt 2.5j und da Thema Erziehung wird/wurde bei uns sehr kontrovers diskutiert.
    Ich habe bereits einige unschöne Situationen erlebt, kinder werden da häufig nicht bedürfnisorientiert erzogen, Eltern haben fast immer Priorität.
    Kinder werden alleine zum essen an den Tisch geholt, damit die Eltern später in Ruhe mit Wein Speisen können… Schlaftraining steht an der Tagesordnung, lässt man nur mal 20min schreien… Das zuhause wird absichtlich nicht kindersicher gemacht, ständig muss man die ki der zurechtweisen. „Nonono“ undundund… man möchte schlicht sein Leben wie vorher führen und sich gar nicht anpassen. Eingewöhnung ist unüblich, Kinder dürfen in der maternelle nicht frei spielen und müssen schon lernen. Im Vergleich zu deutschen System ganz anders, da kann ein Kind sich mit Phantasie und ausprobieren frei entwickeln. Man muss von klein an schon etwas leisten.
    Mein Neffe kann super 1.5h Stunden alleine spielen, mit 3jahren… finde ich nicht normal. Ich bin überzeugt, dass viele Kinder einen bleibenden Schaden davontragen. Empathie ist meiner Ansicht nach in Frankreich nicht sehr stark ausgeprägt, sie lernen es einfach nicht und die Zeit mit den Eltern ist auch sehr limitiert.

    Wir fallen total aus der reihe , weil es mir sehr wichtig ist und weil leichter und schöner ist, wenn ich auch schaue, was mein Kind grade braucht und ich es auch als Kleinkind in einem gewissen Rahmen mitentscheiden lasse. Dann bin ich halt eine komische Glucke, die ihr Kind verwöhnt… Aber ich wünsche mir sehr stark, dass die bedürfnisorientierte Erziehung dort mehr Gehör findet. Kennst du französische literatur, Elternkurse zum Thema Schlafen oder Erziehung wie bei uns vom Kinderschutzbund ? Danke !

    1. Liebe Andrea, vielen Dank für deine Beobachtungen.
      Ähnlich wie du, habe auch ich den Umgang mit Kindern in Frankreich und an einer französischen Schule in Berlin erlebt. Ich sehe es gemischt: Es ging mir sehr gegen den Stich, wenn Kinder herumkommandiert wurden ganz nach den Wünschen der Erwachsenen.
      Und dann gab es Familien, in denen sich die Erwachsenen wichtig nahmen und genauso die Bedürfnisse der Kinder. Je kleiner die Kinder, desto mehr standen deren Bedürfnisse im Vordergrund. Wenn die Kinder langsam selbständiger wurden, konnten die Erwachsenen wieder mehr ihr eigenes Leben leben.
      Das hat mir gut gefallen, denn in Deutschland erlebe ich häufig, dass Eltern sich scheuen, die Führungsrolle „Leitwölfe sein“, zu übernehmen. Dann fehlt es den Kindern an Orientierung und die Eltern opfern sich auf und sind unzufrieden.
      Wie immer ist wohl die goldene Mitte ein guter Weg.
      Französische Bücher zur Erziehung habe ich eigentlich nie gelesen und habe diesbezüglich leider keine Tipps.

      Bei meiner Arbeit mit Eltern, achte ich darauf, dass die Bedürfnisse von allen Familienmitgliedern erfüllt sind. Wenn die Familie in Balance ist, geht es allen gut.
      Wenn du mit gutem Beispiel voran gehst und die Menschen in deinem Umfeld sehen, wie gut es euch geht, schauen sie sich vielleicht das ein oder andere ab.
      Viel Energie und Erfolg!
      Herzliche Grüße, Heike

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